{{wiki:logo.png}} ---- //Projektbericht des Vertiefungsprojektes in dem Studiengang Ökologie und Umweltplanung (WS16/17 - SS17)// ----

Bestimmung und Bedeutung stadtstruktureller Größen - Welche Auswirkungen hat die Bebauung auf die Energiebilanz im Stadtraum

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzung Bedeutung
H Höhe der Gebäude
Q* Energieflussdichte
QE latenter Wärmefluss
QG Wärmefluss im Material
QH sensibler Wärmefluss
S Straßenbreite
SVF Himmelsichtfaktor (sky view factor)

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Eigene Darstellung, verändert nach: Nunez, M., Oke, T. R. 1977: The Energy Balance of an Urban Canyon. Department of Geography, University of British Columbia, Vancouver, Canada

Abbildung 2: Nunez, M., Oke, T. R. 1977: The Energy Balance of an Urban Canyon. Department of Geography, University of British Columbia, Vancouver, Canada

Tabelle 1:eigene Zusammenstellung nach Burian, S. et al. 2004: Urban morphological analysis for mesoscale metrologicaland dispersion modeling applications: current issues. In 5th Symposium on the Urban Environment. (S. 359 - 368) und Sukopp, H., Wittig, R. 1998: Stadtökologie. Ein Fachbuch für Studium und Praxis. 2.Auflage, G. Fischer, Stuttgart; Jena; Lübeck; Ulm

1. Einleitung

Im Zusammenhang mit der studentischen Projektarbeit: „Stadt - Grün - Klima?“ werden die Wechselwirkungen von Vegetation in urbanen Räumen und dem Stadtklima betrachtet. In diesem Rahmen soll in der folgenden Ausarbeitung auf klimatologisch relevante strukturelle Größen eingegangen werden, wobei zentral die Frage behandelt wird, welche Auswirkungen die Stadtstruktur auf die Energiebilanz im Stadtraum hat.

Die Veränderung der innerstädtischen Energiebilanz ist dabei von besonderem Interesse, da sie zu der Ausbildung einer städtischen Wärmeinsel führen kann (Errel et al. 2011), welche wiederum negative Auswirkungen auf das Humanbioklima hat.

Bevor mit der Untersuchung verschiedener Faktoren und ihrer Wirkung begonnen werden kann, muss zunächst der Maßstab festgelegt werden, in dem die Besonderheiten des Stadtklimas betrachtet werden sollen. Das Stadtklima wurde 1983 durch die World Meteorological Organisation (WMO) als das durch die Wechselwirkung mit der Bebauung und deren Auswirkungen (einschließlich Abwärme und Emission von luftverunreinigenden Stoffen) modifizierte Klima definiert.Der Bereich der Atmosphäre, der direkt durch die klimawirksamen Faktoren von urban - industriellen Gebieten beeinflusst wird, stellt demnach die Stadtatmosphäre und damit den gröbsten Betrachtungsmaßstab dar (Oke 1987).

Da sowohl verschiedene Städte sich durch Lage, Größe, Straßen, Nutzungstypen, Bebauungsstruktur, Versieglungsgrad sowie Grün- und Freiflächen (Leser 2008) stark voneinander unterscheiden und auch die städtischen Strukturen sehr heterogen sind, ist es fast unmöglich, eine korrekte Angabe der Energiebilanz für eine ganze Stadt aufzustellen (Errel et al. 2011). Aus diesen Gründen soll der Einfluss der Bebauung auf die Energiebilanz im Folgenden an dem Modell einer Straßenschlucht (eng. „street canyon“) behandelt werden.

2. Einfluss der städtischen Bebauung auf die Energiebilanz

Um die Entstehung des Stadtklimas und damit der Stadtatmosphäre zu verstehen, ist es wichtig die zugrundeliegenden Prozesse und Faktoren zu kennen. Eine besondere Bedeutung fällt dabei der Energie- und Strahlungsbilanz zu, welche durch die strukturellen Größen der Stadt stark verändert wird. Der erste Satz der Thermodynamik (Energieerhaltungssatz) besagt, dass Energien ineinander umwandelbar sind, aber nicht gebildet, bzw. vernichtet werden können. Die Hauptenergiequelle ist auch in der Stadt die solare Strahlung, die auf die Oberflächen auftrifft. Wann und in welcher Form die Energie wieder freigesetzt wird, ist abhängig von den verschiedenen morphologischen Größen wie der urbanen Geometrie und den Oberflächeneigenschaften der Baustoffe (Christen und Vogt, 2005). Ein Überblick über die wichtigsten stadtstrukturellen Größen, welche den Energiehaushalt bestimmen, wird in Tabelle 1 gegeben.

StrukturgrößeBeschreibung
Gebäudecharakteristika
AußenflächenindexVerhältnis 3D Oberfläche Einheitsfläche
GrundflächenindexGrundfläche der Bebauung pro Einheitsfläche
GebäudehöheDurchschnittliche Gebäudehöhe
Höhen-/ Weiten-VerhältnisGebäudehöhe/ Straßenweite
HimmelsichtfaktorReal sichtbarer Anteil des Himmels
Oberflächeneigenschaften
AlbedoReflektivität von Oberflächen
AbsorptionsvermögenAufnahmevermögen
EmissionsvermögenAbstrahlungsvermögen
WärmekapazitätFähigkeit, thermische Energie zu speichern
Durchlässigkeitvon Oberflächen gegenüber solarer Strahlung

Tabelle 1: Überblick über die wichtigsten stadtstrukturellen Größen, welche den Energiehaushalt bestimmen (verändert nach: Burian et al., 2004; Sukopp, Wittig, 1998; Endlicher, 2012
Das Modell der Straßenschlucht dient der Abbildung der komplexen Auswirkungen der Bebauung. Wie in Abb.1 zu sehen, sind die durchschnittliche Höhe der Gebäude an beiden Seiten, deren Abstand sowie die Ausrichtung der linearen Hauptachse des Zwischenraums die wichtigsten Charakteristika. Die Tiefe der Schlucht wird durch das Verhältnis zwischen Höhe der Gebäude (H) und Straßenbreite (S) errechnet. Ist H/S>1, gilt die Straßenschlucht als tief, ab H/S>2 als sehr tief (Errel et al. 2011). Wichtig ist zu beachten, dass eine modellartige Straßenschlucht eine starke Vereinfachung einer realen Stadt darstellt. Faktoren wie eine Straßenbegrünung, Objekte auf der Straße (z.B. Autos) oder strukturelle Besonderheiten wie Parkanlagen und große Plätze werden dabei nicht beachtet.

Abbildung 1: Aufbau einer Straßenschlucht (verändert nach: Nunez und Oke, 1977)

Um den Energieaustausch in der Stadthindernisschicht zu berechnen muss, wie in Formel 1 beschrieben, die Energiebilanz jeder Oberfläche in der Straßenschlucht aus QH (sensibler Wärmefluss), QE (latenter Wärmefluss) und QG (Wärmefluss im Material) berechnet werden. Das ergibt Q*, also die netto Strahlenflussdichte, welche ein Maß für die Strahlung pro Zeiteinheit ist (Nunez, Oke, 1977).

Q* = QH + QE + QG (1)

Die Energiebilanz der Oberflächen ergibt sich somit aus Teilen der Strahlungsbilanz (sensibler und latenter Wärmefluss) und der Wärmeleitung und Speicherfähigkeit im Material und wird in Watt pro m² gemessen. Für das Luftvolumen in der Straßenschlucht wird von Nunez und Oke (1977) angegeben, dass sich Änderungen in der Strahlenflussdichte als Änderungen in der sensiblen Energie (Temperatur) erkennen lassen.

Im Folgenden wurden drei Tage lang (9.- 11. September 1973) Messungen in einer Straßenschlucht nahe des Stadtzentrums von Vancouver, Canada durchgeführt. Die Energiebilanzen der drei Oberflächen (westliche Wand, östliche Wand und Boden) sind anhand von stündlich gemittelten Werten in Abbildung 2 dargestellt.


Abbildung 2: Energiebilanzen der Oberflächen einer Straßenschlucht im Verlauf eines Tages (Nunez und Oke, 1977)

Es ist zu erkennen, dass die Nord-Süd Ausrichtung der Straße großen Einfluss auf den Zeitpunkt der höchsten Energiebilanz der verschiedenen Oberflächen hat, aber auch der Einfallswinkel der Strahlung, die Albedo und das Emissionsvermögen eine Rolle spielen. Die kurzwellige solare Strahlung, welche aus der Atmosphäre in direkter und diffuser Form auf die Erde trifft, wird an jeder Oberfläche zu Teilen reflektiert und absorbiert, an transparenten Stoffen werden auch Teile transmittiert (Sukopp, Witting, 1998).

Die Albedo ist das Verhältnis zwischen reflektierter und einfallender Sonnenstrahlung und hängt vom spezifischen Material der Oberfläche sowie ihrer Farbe ab. Nach Errel et al.(2011) ist die Albedo aber nicht nur vom Reflexionsgrad einzelner Oberflächen abhängig, sondern auch von der dreidimensionalen Anordnung der Flächen, welche über den Winkel der einfallenden Strahlung sowie Schattenwurf entscheidet. Der Boden absorbiert zum Zeitpunkt des Sonnenhöchststandes am meisten sensible Wärme, was sowohl auf den geringen Einfallswinkel als auch auf niedrige Albedo von durchschnittlich 0,13 zurückzuführen ist. Die höhere Albedo der Wände von bis zu 0,62 führt zu einer niedrigeren Absorptionsrate mit Maxima bei ca.200 W m-2. Die Ostwand hat die höchste Energiebilanz am Nachmittag, wenn die Sonne direkt auf die Fläche scheint, die Westwand vormittags. Nunez und Oke vermuten, dass die zweiten Q* Höhepunkte, also vormittags an der Ostwand und nachmittags an der Westwand, auf diffus reflektierte Strahlung der jeweils gegenüberliegenden Wand zurückzuführen seien, gehen dieser Vermutung aber nicht weiter nach (ebd.).

Anhand des Straßenschlucht - Modells nach Oke wird die Bedeutung von multiplen Reflexionen für die Energiebilanz in urbanen Gegenden behandelt (Harman et al. 2003). Es wird untersucht, wie sich verschiedene Annahmen zur diffusen Reflexionen, die in anderen Modellen zur Berechnung der Strahlungsbilanz Anwendung fanden, auf die Genauigkeit der Daten auswirkten. Dazu vergleichen sie die beiden häufig gebrauchten Methoden, nur eine Reflexion oder gar keine Reflexion zu beachten mit der genauen Methode, bei der alle Reflexionen in die Strahlungsbilanz mit einbezogen werden (ebd.). In ihren Berechnungen analysieren sie die langwelligen diffusen Reflexionen, die Methodik lässt sich jedoch auch auf diffuse kurzwellige Strahlung übertragen. Der Anteil der direkten Strahlung wird in dem von ihnen angewandten Verfahren nicht beachtet.

Um die genaue Anzahl der Reflexionen zu bestimmen führen sie den „shape factor“ ein, einen Faktor, der den Abstand und die Orientierung zwischen zwei Komponenten beschreibt und mit dem sich der Strahlungsaustausch zwischen den Flächen ableiten lässt. Ab einem H/S Verhältnis von >1, also einer tiefen Straßenschlucht, findet der Strahlungsaustausch hauptsächlich zwischen den beiden Wänden und zwischen Wänden und Boden statt, und nicht mehr wie bei ebenerdigem Gelände zwischen Boden und Himmel (ebd.). Direkt mit den H/S Verhältnis ist der Himmelsichtfaktor (SVF) verknüpft. Der Himmelsichtfaktor beschreibt das Verhältnis zwischen der Fläche des real sichtbaren Himmels und des potentiell sichtbaren Himmels (Sukopp, Witting, 1998). Das Verhältnis von Höhe und Straßenbreite sowie der SVF sind wichtig, um zu verstehen, warum sich urbane Räume aufheizen. Durch eine tiefe Straßenschlucht mit geringem SVF entsteht der „Temperaturhalteffekt“ (ebd.). Die Straßenschlucht wird dabei durch das Zusammenkommen von zwei Mechanismen zur sogenannten „Strahlungsfalle“. Die kurzwellige Solarstrahlung wird an den anthropogenen Oberflächen vielfach reflektiert und dadurch fast vollständig absorbiert und die langwellige Rückstrahlung wird deutlich reduziert. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die genaue Lösung sich signifikant von den beiden vereinfachten Annahmen unterscheidet, und deshalb für eine präzise Betrachtung benötigt wird (Harman et al. 2003). Je größer das H/S Verhältnis der Straßenschlucht, desto wichtiger wird es, die exakte Lösung zu verwenden, da der Einfluss von multiplen Reflexionen mit zunehmender Höhe der Häuser steigt.

3. Schlussfolgerungen

Die dichte Bebauung in der Stadt führt zu einer deutlichen Änderung der sensiblen Wärme, was die Strahlungs- und Energiebilanz erheblich beeinflusst.
Diffuse Reflexionen führen ab einem H/S Verhältnis von 0,5 zu einem rapiden Anstieg der Strahlungsflussdichte und damit einer vermehrten Absorption der Strahlung. Tagsüber wird die Energiebilanz in der Straßenschlucht stark positiv, was dazu führt, dass das Energiedefizit der Luft bei Nacht durch das Abstrahlen tagsüber aufgenommener Energie ausgeglichen wird. Eine detaillierte Kenntnis der Stadtstruktur ist für genaue Modelle folglich unerlässlich, da die klimatologisch relevanten Strukturgrößen eine große Heterogenität aufweisen und für die Beobachtung des Stadtklimas entscheidend sind.

4. Quellenverzeichnis

Burian, S. et al., 2004: Urban morphological analysis for mesoscale metrologicaland dispersion modeling applications: current issues. In 5th Symposium on the Urban Environment, 359-368 S.

Christen, A., Vogt, R., 2005: Hoch hinaus: Ein 3D - Stadtmodell in meteorologischen Anwendungen. In: Geomatik Schweiz: Geoinformation und Landmanagement, Band 103, Heft 6.

Endlicher, W., 2012: Einführung in die Stadtökologie. Eugen Ulmer KG: Stuttgart.

Errel, E., Pearlmutter, D., Williamson, T., 2011: Urban microclimate: Designing the spaces between buildings. Earthscan London: Washington.

Harman, I., Best, M., Belcher, S., 2003: Radiative exchange in an urban street canyon.

Leser, H., 2008: Stadtökologie in Stichworten. 2.Auflage, Gebrüder Borntaeger Berlin: Stuttgart.

Nunesz, M.,Oke, T. R., 1977: The Energy Balance of an Urban Canyon. Department of Geography, University of British Columbia, Vancouver, Canada.

Oke, T. R., 1987: Boundary Layer Climates. 2.Auflage Methuen & Co.: USA.

Sukopp, H., Wittig, R., 1998: Stadtökologie. Ein Fachbuch für Studium und Praxis. 2.Auflage G. Fischer: Stuttgart Jena Lübeck Ulm.



Autorin: Kaiser, Klara
Datum: 04.08.2017


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