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ADAPTE: Überwinden klimawandelverursachte Gesundheitsrisiken sozioökonomische innerurbane Grenzen?

ausgearbeitet von Anna Ackermann

Einleitung

Großstädte betrifft der globale Klimawandel gleich zweifach: Sie emittieren Treibhausgase und ihre Einwohner sind den Folgen des Klimawandels besonders ausgesetzt. Temperaturveränderungen und die Verschlechterung der Luftqualität beeinträchtigen die Gesundheit der Städter. Den mit 79.6 % (2010) hohen Urbanisierungsgrad und die soziale Ungleichheit machen Lateinamerika zu einem interessanten Forschungsgebiet für Stadtklima (BMZ 2011). Das Projekt ADAPTE (Adaptation to the health impacts of air pollution and climate extremes in Latin American cities) untersucht die Einflüsse von wetterverursachtem Stress, Luftverschmutzung und sozioökonomischer Vulnerabilität auf die Gesundheit, um daraufhin Anpassungsmöglichkeiten an diese Bedingungen zu entwickeln. Unter Vulnerabilität versteht man Neigung, ungünstig beeinträchtigt zu sein, begründet u. a. durch Empfindlichkeit oder fehlender Anpassungsmöglichkeit (IPCC 2014). Betrachtet werden drei lateinamerikanische Großstädte: Bogotá (Kolumbien), Santiago de Chile (Chile) und Mexiko-Stadt (Mexiko) (ROMERO-LANKAO et al. 2013, SAEMC o.A.). Mit dem Projekt soll eine Grundlage zur besseren Risikoplanung für örtliche Gesundheits- und Umweltbehörden geschaffen werden. Risiko ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von gefährlichen Ereignissen, multipliziert mit den Auswirkungen, die die Ereignisse auslösen (IPCC 2014). Um dies zu erreichen, werden (1) die Auswirkungen von Luftverschmutzung und Hitze-/Kältestress auf die Gesundheit, (2) die urbanen räumlichen Muster von Mortalität/Morbidität und Vulnerabilität und wie sich diese Verteilungen erklären sowie (3) Anpassungskapazitäten und -strategien in diesen Städten (SAEMC o.A.) untersucht. Im Folgenden wird näher auf die Fragestellung eingegangen, ob Gesundheitsrisiken durch die Exposition von Luftverschmutzung und Extremtemperaturen mit sozioökonomischen Ungleichheiten korrelieren. Exposition beschreibt die Anwesenheit von Personen an Orten, die ungünstig von Risikofaktoren, hier Folgen des Klimawandels, betroffen sein können (IPCC 2014). Die Daten werden auf Stadt- und Bezirksebene ausgewertet (ROMERO-LANKAO et al. 2013).

Daten, Methode und Ergebnisse

Um die Zusammenhänge zwischen den Faktoren Exposition, Gesundheitsrisiko und sozioökonomischer Vulnerabilität zu erkennen, werden für jeden Faktor Indikatoren gewählt. Für die Exposition dienen die mittlere Tagestemperatur, deren Daten von meteorologischen Stationen gesammelt wurden, sowie gemessene Werte zur Luftqualität – Feinstaub (PM10, PM2.5), Stickstoffdioxid (NO2) und Ozon (O3) – als Indikatoren. Die Daten werden mithilfe eines gleitenden Mittelwerts über drei Tage geglättet (ROMERO-LANKAO et al. 2013). Das Gesundheitsrisiko wird durch die Sterbefälle aufgrund von Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen beschrieben. Diese Krankheiten stehen in dichtem Zusammenhang zu Luftverschmutzung und Temperaturextremen (BASU et al. 2008). Die sozioökonomische Vulnerabilität beschreibt die Wahrscheinlichkeit einer Bevölkerung, durch sozioökonomische Faktoren negativ von einer Gefahr betroffen zu sein. Sie wird über mehrere Indikatoren gemessen, die in einem multidimensionalen Vulnerabilitätsindex (MVI) zusammengefasst werden (ROMERO-LANKAO et al. 2013). Hier werden vier Arten von Kapital unterschieden: Das soziale Kapital wird aus dem Anteil der Häuser ermittelt, die von ihren Eigentümern selbst bewohnt sind. Das menschliche Kapital wird durch ein Abhängigkeitsverhältnis bestimmt, das Menschen von 0 – 14 und ab 65 Jahren zu den Menschen zwischen 15 – 64 Jahren in Verhältnis setzt sowie von der Prozentzahl der Bevölkerung, die keinen höheren Schulabschluss haben. Die Indikatoren für das physische Kapital sind der Anteil an Haushalten mit mehr als sieben Mitgliedern und die Anzahl an Gesundheitseinrichtungen pro 10,000 Einwohner. Die Prozentzahl an Einwohnern, deren Einkommen unter die staatlich definierte Armutsgrenze fällt, ist der Indikator für das finanzielle Kapital. Um die Werte der Indikatoren miteinander verrechnen zu können, werden sie nach einer Methode des United Nations Development Programme (UNDP) normalisiert (s. Formel 1).

<m 16>Normalisierter Wert = {Tatsächlicher Wert – Minimumwert}/ {Maximumwert – Minimumwert}</m> (1)

Einige Werte müssen invertiert werden (1 – normalisierter Wert), damit ein hoher Indikatorwert eine hohe Vulnerabilität darstellt. Die Durchschnittswerte der einzelnen Indikatoren für jede Kapitalart werden als Sub-Indizes ermittelt. Anschließend wird mit dem arithmetischen Mittel der vier Sub-Indizes der MVI berechnet (ebd.). Zur weiteren Datenanalyse wird die Luftqualität jeder Stadt mit den Richtlinien der WHO (2005) zur Luftqualität verglichen. Außerdem werden alle Daten in warme und kalte Jahreszeiten aufgeteilt, um zeitliche Muster der Gesundheitsrisiken zu erkennen. Mithilfe eines Generalisierten Linearen Modells (GLM) wird das relative Sterberisiko durch Luftverschmutzung bzw. Temperaturextreme auf Stadt- und Bezirksskala ermittelt. Auf Bezirksebene wird untersucht, wie das Risiko, an durch erhöhte Luftverschmutzung bedingte Atemwegs-/Herz-Kreislauf-Krankheiten zu sterben, in den Städten verteilt ist. Ein Vergleich dieses Risikos mit der MVI der Bezirke untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Vulnerabilität eines Bezirks mit Gesundheitsrisiken bezüglich Luftverschmutzung und Temperaturextremen gibt (ROMERO-LANKAO et al. 2013).

Beim Vergleich mit den WHO-Richtlinien stellt sich heraus, dass die gemessenen Daten an Feinstaub in allen Städten mindestens drei- bis viermal höher sind als die Richtwerte. Es wird ein erhöhtes Gesundheitsrisiko bei hohen Temperaturen in kalter Jahreszeit (Bogotá) und in warmer Jahreszeit (Mexiko Stadt) festgestellt. Außerdem erhöht ein Konzentrationsanstieg von PM10 um 10 µg/m3 in kalter Jahreszeit die Herz-Kreislauf-/Atemwegs-Sterberate in allen drei Städten und in warmer Jahreszeit in Mexiko Stadt und Bogotá. Bei der Bezirksanalyse zeigt sich, dass sich sowohl die Luftqualität als auch der MVI-Wert innerhalb der Städte deutlich räumlich unterscheiden (z.B. Mexiko Stadt: PM10 40.7 μg/m3 im SW und 72.6 μg/m3 im NE), allerdings korrelieren die Ergebnisse nicht miteinander, es gibt also keinen Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Vulnerabilität eines Bezirks und der Exposition an Feinstaub. In Bogotá wurde ein Zusammenhang zwischen NO2-Exposition und höher vulnerablen Bezirken gefunden, in Santiago ist die Ozon-Exposition in vulnerablen Bezirken niedriger. Einige sehr vulnerable und gering vulnerable Bezirke haben eine ähnliche Atemwegs-/Herz-Kreislauf-Todesziffer durch die PM10-Konzentration. Außerdem stimmt die räumliche Verteilung dieser Todesziffern in den Städten nicht mit der räumlichen Verteilung der sozioökonomischen Vulnerabilität überein. Die Studie findet keinen Zusammenhang zwischen Mortalität durch Luftverschmutzung/Temperaturextremen und sozioökonomischer Vulnerabilität (ROMERO-LANKAO et al. 2013).

Diskussion

Die Studie zeigt einen Zusammenhang von Luftqualität sowie Temperaturextremen mit Atemwegs-/Herz-Kreislauf-Sterbefälle bezogen auf die gesamte Stadt. Ein Zusammenhang zwischen MVI und Atemwegs-/Herz-Kreislauf-Sterbefälle auf der Bezirks-Skala wird nicht nachgewiesen. Somit betreffen durch den Klimawandel verursachte Krankheiten auch sozioökonomisch besser gestellte Bezirke (ROMERO-LANKAO et al. 2013).

Sozioökonomische Indizes gewichten sozioökonomische Faktoren und schließen andere aus: Der MVI beispielsweise wird aus den normalisierten Werten von vier Kapitalarten gleichwertig berechnet. Der Anteil der Älteren an der Bevölkerung kommt im Abhängigkeitsverhältnis zum Tragen, das zusammen mit dem Anteil der Personen, die keinen höheren Schulabschluss haben, das menschliche Kapital bildet. Dieses Kapital wiederum ist einer der vier Sub-Indizes, die gleichberechtigt in den MVI einfließt. Das physische Kapital, das den Anteil der Personen angibt, die mit mehr als sieben Mitgliedern in einem Haushalt leben, ist gleich stark gewichtet wie das menschliche Kapital. Der Anteil des finanziellen Kapitals kann umso mehr Bedeutung haben, wenn man an den Kauf einer Klimaanlage als Anpassungsmaßnahme im Haus denkt. Dies kann den Hitzestress bedeutend verringern. Die Gewichtung der sozioökonomischen Faktoren für den MVI ist somit möglicherweise zu überprüfen und für andere Regionen der Welt anzugleichen. Das Gesundheitsrisiko wird über die Sterbeziffer von Herz-Kreislauf-/Atemwegs-Erkrankten beschrieben. Dieser Indikator ist sehr hart und im Vergleich selten auftretend: Die Aufnahme von Daten, die wie z. B. in GOLDEN et al. (2008) zum Beispiel miteinbeziehen, würde diesen Indikator erweitern. Voraussetzung hierbei sind allerdings flächendeckende zuverlässige Daten. In MANIK & SYAUKAT (2015) wird die Vulnerabilität der Bevölkerung anhand von Fragebögen und Interviews zufällig ausgewählter Einwohner, erfasst und berechnet. Durch diese aufwändige Methode werden aussagekräftige Faktoren miteinbezogen, die Behörden nicht erfassen, jedoch bleibt es bei nicht repräsentativen Stichproben. Die Herangehensweise macht die Studie dennoch schlechter mit anderen vergleichbar (POLSKY et al. 2007). Der hier berechnete LVI-IPCC (Livelihood Vulnerability Index des IPCC) beinhaltet im Gegensatz zum MVI schon die Exposition zur möglichen Gefahr, der Index beruht also auf einer anderen Definition von Vulnerabilität. Die bestehenden Vulnerabilitätsindizes scheinen alle ihre Schwächen aufzuweisen; die unterschiedliche Begriffsdefinition von Vulnerabilität ist in der Wissenschaft noch eine Herausforderung und die Wahl der Indikatoren abhängig von dem untersuchten Gebiet (MANIK & SYAUKAT 2015).

Der MVI wird auf der Ebene der Bezirke gemessen. Dies stellt eine Verallgemeinerung dar: Bezirke in den untersuchten Städten können sehr groß sein und vulnerablere und weniger vulnerable Bereiche umfassen, deren Werte in dem Index zusammengefasst werden. Es stellt sich die Frage, ob die Bezirksebene für die Betrachtung des MVI, gerade in Megacities, zu unscharfen Ergebnissen führt und ob noch kleingliedriger gearbeitet werden sollte.

Daten zu den sozioökonomischen Faktoren sind laut Studie nicht in allen Bezirken komplett verfügbar, sodass diese außen vor gelassen werden (ROMERO-LANKAO et al. 2013). Hier könnte es sich auch um informelle Siedlungen handeln, die in großen Städten in Lateinamerika große Dimensionen annehmen können (PEARLMAN 2014). Fluktuationen in der Bevölkerung sind dort stark ausgeprägt und somit ist es schwer, eine Datenerhebung der Einwohner aktuell zu halten. Handelt es sich aber gerade bei diesen Gebieten nicht um vulnerablere Bezirke, die somit eventuell auch stärker von den Gesundheitsrisiken betroffen sind und die für die Studie besonders interessant sind?

Schlussfolgerung

Trotz Unsicherheiten in den Begriffsdefinitionen, in der Datenlage und der Gewichtung der Faktoren, die auch zu einer schlechteren Vergleichbarkeit von Vulnerabilitätsstudien führt, können die Ergebnisse eine Grundlage für Anpassungsstrategien bilden. Entscheidend ist, dass Handlungsspielräume klar dargestellt und Anpassungen – besonders in Bezirken mit hoher Exposition – vorgenommen werden, um die Stadtbewohner vor den erhöhten Belastungen durch den Klimawandel zu schützen.

Abkürzungsverzeichnis

ADAPTE – Adaptation to the health impacts of air pollution and climate extremes in Latin American cities

IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change

LVI – Livelihood Vulnerability Index

MVI – Multidimensional Vulnerability Index (Multidimensionaler Vulnerabilitätsindex)

SAEMC – South American Emissions Megacities and Climate

UNDP – United Nations Development Programme (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen)

WHO – World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)

Literaturverzeichnis

BASU, R., FENG, W.-Y., OSTRO, B., 2008: Characterizing temperature and mortality in nine California counties. Epidemiology, 19 (1), 138–145 S.

BMZ ( = Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) (Hrsg.), 2011: Urbanisierung in Lateinamerika und der Karibik (LAC-Region). Online in Internet: URL: http://www.bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv/themen_und_schwerpunkte/stadtentwicklung/Urbanisierung_in_Lateinamerika_und_der_Karibik__LAC-Region.pdf [Stand 20.06.2016].

IPCC (= Intergovernmental Panel on Climate Change), 2014: Summary for policymakers – Climate Change 2014: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Part A: Global and Sectoral Aspects. Contribution of Working Group II to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. 33 S.

GOLDEN, J. S., HARTZ, D., BRAZEL, A., LUBER, G., PHELAN, P., 2008: A biometeorology study of climate and heat-related morbidity in Phoenix from 2001 to 2006. International Journal of Biometeorology, 52, 471–480 S.

PEARLMAN, J. (für bpb.de), 2014: Urbanisierung, Megastädte und informelle Siedlungen. Online in Internet: URL: http://www.bpb.de/apuz/183456/urbanisierung-megastaedte-und-informelle-siedlungen [Stand 19.06.2016].

MANIK, T., SYAUKAT, S., 2015: The impact of urban heat islands. Assessing vulnerability in Indonesia. IIED: London, 84 S.

POLSKY, C., NEFF, R., YARNAL, B., 2007: Building comparable global change vulnerability assessments: The vulnerability scoping diagram. Global Environmental Change, 17, 472–485 S.

ROMERO-LANKAO, O., BORBOR-CORDOVA, M., ABRUTSKY, R., GÜNTHER, G., BEHRENTZ, E., DAWIDOWSKY, L., 2012: ADAPTE: A tale of diverse teams coming together to do issue-driven interdisciplinary research. Environmental Science & Policy, 26, 29–39 S.

ROMERO-LANKAO, P., QIN, H., BORBOR-CORDOVA, M., 2013: Exploration of health risks related to air pollution and temperature in three Latin American cities. Social Science & Medicine, 83, 110–118 S.

SAEMC (Hrsg.), Jahr o.A.: ADAPTE. Full description. Online in Internet: URL: http://saemc.cmm.uchile.cl/index.php?option=com_content&task=view&id=65&Itemid=69 [Stand 11.11.2015].

WHO, 2005: Air quality guidelines for particulate matter, ozone, nitrogen dioxide and sulfur dioxide. Global update 2005. Summary of risk assessment. WHO Press: Genf, 22 S.


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